
Wie du vielleicht schon weißt, habe ich ursprünglich als Grundschullehrerin gearbeitet, bevor ich zur Sonderpädagogik gewechselt bin. Falls du mehr über meinen Weg und meine Kündigung erfahren möchtest, klick hier.
Ich kenne also sowohl den Elementarbereich der Regelschule als auch die Klassen 1-9 der Sonderpädagogik. An Förderschulen wird anders gearbeitet. Das liegt zum einen an den anderen Voraussetzungen, wie kleinere Klassen, mehr Schulbegleitungen und andere Schulstrukturen. Zum anderen wird hier oft auch aus einer anderen Perspektive auf schulische Aspekte geblickt, die mir persönlich sehr zusagen und vielleicht ja auch dir 😊. Ich finde sie sind nämlich für alle Lehrämtler und Schulen bedeutsam.
- Flexibel bleiben
Ein zentraler Aspekt der Sonderpädagogik ist, dass es keine „Einheitslösung“ für den Unterricht gibt. Jedes Kind hat individuelle Bedürfnisse und Anforderungen. Natürlich hat die Sonderpädagogik einen ganz anderen Rahmen, um auf die besonderen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Doch Inklusion betrifft alle Schularten und so finden sich auch an allen Schulen Kinder mit individuellen, teilweise besonderen Bedürfnissen.
Manchmal sind wir im starren Lehrplan und standardisierten Unterrichtsmethoden gefangen und agieren wenig flexibel.
Ich möchte hier ein eigenes Beispiel geben. Ein Schüler in meiner Klasse tut sich extrem schwer, mit anderen Kindern zusammenzuarbeiten. Doch manchmal fordere ich das ein, so auch an diesem Tag. Das Kind war wenig begeistert und zeigte keinerlei Bereitschaft. Ich fragte ihn: „Was brauchst du, um die zehnminütige Partnerarbeit gut schaffen zu können und mit Partner XY zusammenarbeiten zu können?“ Dass ich darauf geachtet habe, dass das Partnerkind gut zu ihm passt, sei hier nur nebenbei bemerkt. Daraufhin antwortet der Schüler: „Dann möchte ich mit meinem Partner auf dem Gang arbeiten.“
Ich war erst wenig begeistert – auf dem Gang arbeiten, da habe ich ihn nicht so im Blick. Soll ich es erlauben? Ich wog ab – was hatte ich zu verlieren? – und wiederholte, was ich von ihm erwarte und dass ich dafür das Arbeiten auf dem Gang erlaube, er nun aber zeigen müsse, dass mein Vertrauen gerechtfertigt ist. Es hat geklappt!
Mit diesem Beispiel möchte ich dir zeigen, dass es gar keine großen Maßnahmen und Aktionen braucht, sondern es ja auch immer darum geht, was hilft auch mir als Lehrkraft? Ein Machtkampf mit dem Schüler, den ich nicht gewinnen kann? Nein, danke, da nehme ich ihn lieber mit ins Boot und schaue, ob wir so weiterkommen!
2. Diagnosen sagen wenig über Verhaltensweisen aus
Vielleicht kennst du das? Wenn manche Kolleginnen und Kollegen von ihren Klassen sprechen, klingt das in etwa so: Ich habe drei ADHSler, einen Autisten und zwei Ukrainer. Ich persönlich tue mir mit solchen Äußerungen sehr schwer, denn was sagt das aus? Erst einmal gar nichts. Ich habe einen Schüler mit ADHS, der einer der liebsten, nettesten Schüler überhaupt ist. Die Diagnose sagt wenig aus, wie das Verhalten konkret im Unterricht ist. Manche haben eine Diagnose, sind aber dennoch gut in die Klassengemeinschaft integriert, machen im Unterricht mit und lassen sich gut händeln.
Wenn wir Klassen übernehmen und dabei von der vorherigen Lehrkraft solche Diagnosen mit auf den Weg bekommen, ist es immer sinnvoll, sich erstmal selbst ein Bild zu machen. Wie äußert sich die Diagnose? Ist das Kind vielleicht medikamentiert und zeigt damit ein ganz anderes Verhalten als gedacht? Wie zeigt sich die ASS (Autistische Spektrumsstörung)? Ein Zitat einer Fortbildung dazu lautete: Kennst du einen Autisten, kennst du genau einen! Und so ist es eigentlich doch mit jedem Kind. ADHS äußert sich nicht gleich, Autismus zeigt sich nicht auf dieselbe Weise und damit kommen wir wieder zur Individualität des Einzelnen, die das ganze ja eigentlich so besonders macht.
3. Wir haben nicht nur einen Bildungsauftrag!
Diese Herausforderung kennen wir wohl alle! Aber die Regelschulen verspüren oft so einen vom Schulsystem auferlegten Druck, dass man als Lehrkraft oft das Gefühl bekommt, dass der Laden einfach laufen muss und es keinen Platz für Umwege, ungeplante Auseinandersetzungen und nicht im Lehrplan stehende Bedürfnisse gibt.
Und hier sehen wir uns oft im Zwiespalt: Wir merken, dass die Klasse gerade eher einen Klassenrat, ein Gesprächsangebot oder ein Sozialtraining braucht, doch gleichzeitig spüren wir den Lehrplan in unserem Nacken. Wir müssen doch mit dem Stoff weiterkommen…
Doch auch Studien unterlegten (u.a. Gabriel,T. (2020): Rolle von Emotionen und Emotionsregulation beim schulischen Lernen) dass Kinder kaum lernen können, wenn sie emotional gerade in einer anderen Situation gefangen sind. Und wir haben nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen Erziehungsauftrag. Kinder in ihrer Emotionsregulation zu unterstützen ist Teil unseres breiten Aufgabenspektrums.
Ich möchte dich hier ermutigen: Manchmal muss man seinen Plan über den Haufen werfen und sich an der aktuellen Bedürfnislage der Kinder orientieren. Und ja, das bedeutet, dass ich vielleicht fachlich an diesem Tag nicht weiterkam. Doch es zahlt sich aus. Vielleicht zeigt es sich in einer engeren Klassengemeinschaft? Vielleicht gibt es weniger Streitigkeiten in kooperativen Lernformen? Vielleicht schafft die Klasse die nächste Pause ohne Streit! Vielleicht wurden die Ängste weniger, weil gemeinsam über ein brennendes Thema (Krieg, Pandemie, …) gesprochen wurde?
Und: In einer Abschlussklasse ist es natürlich schwieriger, darauf Rücksicht zu nehmen, aber ich glaube, dass gerade in den Klassenstufen 1-6 noch viel mehr Potential und auch Raum diesbezüglich steckt.
Wie ist deine Meinung dazu? Lass es mich gerne in einem Kommentar wissen! 🤗
