Mein persönlicher Weg

Ich habe einen wahrscheinlich eher ungewöhnlichen Weg eingeschlagen, um jetzt die Arbeit machen zu können, die ich mache. Wie es dazu kam? Dazu muss ich etwas ausholen. Ich hoffe, du hast etwas Zeit mitgebracht 😊.

Dass ich Lehrerin werde, war nicht schon immer mein Wunschberuf. Als Kind wollte ich Springreiterin werden – dass ich bis heute und auch auf unabsehbare Zeit nie ein Hindernis mit einem Pferd übersprungen habe, sei hier nur nebenbei bemerkt. Doch im Laufe meiner Schulzeit wuchs in mir der Wunsch mit Menschen, vorzugsweise mit Kindern zu arbeiten. Als ich mich dann für das Lehramt entschied, war für mich die Entscheidung zwischen Grundschullehramt und Sonderpädagogik zu treffen. Da ich schon damals ziemlich schnell arbeiten wollte und das Grundschulstudium zwei Semester kürzer dauerte, entschied ich mich gegen die Sonderpädagogik.

Ich zog das Studium in Regelstudienzeit durch und bewarb mich nach sieben Semestern für mein Referendariat. Durch einen Zufall stieß ich jedoch auf eine Anzeige des BLLV (Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, unbezahlte Werbung), der mit einem Langzeitpraktikum in Namibia warb. Afrika! Dieser Kontinent faszinierte mich schon lange – er wirkte so fremd, so anders auf mich.

Kurzerhand beschloss ich mich zu bewerben, doch erfuhr, dass die Bewerbungszeit schon vorbei war. Allerdings wäre noch ein Platz frei, ich müsse mich aber sofort entscheiden, da die Beantragung des Visums Monate brauche. Ich hörte auf mein Bauchgefühl und sagte ja.
Es waren unglaublich aufregende, schöne, aber auch herausfordernde sechs Monate dort. Ich unterrichte Kinder von Klasse 6 bis 12, eine ganz neue Erfahrung, über die ich bis heute sehr dankbar bin – auch wenn ich die Auswirkungen des Praktikums auf die Kinder in Afrika mittlerweile kritisch sehe. Sie gewöhnen sich sehr an einen und müssen mit einem ständigen halbjährigen Abschied leben.

Ich arbeitete dann noch ein halbes Jahr als mobile Reserve und ging dann also ein Jahr später als geplant in Referendariat. Ich wollte bewusst mein Referendariat in einer anderen Stadt machen, da ich schon in meiner Heimat studiert hatte. Ich zog also knapp drei Stunden von meiner Heimat entfernt in meine angegebene Wunschgegend.

Wie du vielleicht schön in Über michgelesen hast, macht es mir am meisten Spaß, Kinder zu unterrichten, die aus herausfordernden sozialen und familiären Kontexten stammen und denen der Zugang zu Bildung und Unterstützung möglicherweise erschwert ist. Es ist mir ein Anliegen, diese Kinder zu fördern und ihnen die bestmöglichen Chancen auf eine erfolgreiche Bildungslaufbahn zu bieten. Diesen Wunsch habe ich auf dem Referendariatsbogen in einem Feld mit angegeben, das dafür nicht vorgesehen war 😉. Doch es war mir wichtig und ich hatte Glück: Ich kam an eine Schule mit eben diesen Gegebenheiten.

Ich fand meine Referendariatszeit  gut– das klingt jetzt vielleicht etwas komisch, aber es stimmt. Unsere Seminarleitung war sehr fordernd, aber hat mich auch unglaublich geprägt. Die Stimmung im Seminar war gemischt, doch wir Ersties und später wir Zweities waren im Großen und Ganzen eine Einheit. Außerdem habe ich einer Dreier-WG gewohnt. Meine Mitbewohner hatten mit Lehramt nichts am Hut – ein Segen, um auch mal aus seiner Ref-Blase herausgeholt zu werden.
Insgesamt war das Ref wie ein Boot-Camp: Auch ich musste für mich herausfinden, wie ich eine Balance schaffe zwischen Arbeit und Privatleben. Ich spürte schmerzhaft, wie es sich anfühlt, ausgebrannt zu sein. Ich merkte, wie ich manchmal zu viel wollte. Doch ich habe all diese Herausforderungen genutzt, um auf mich zu achten. Das gelingt mir meistens. Doch auch heute noch lande ich manchmal in der Sackgasse und merke, dass ich zu viel gearbeitet und zu wenig gelebt habe.

Ich möchte hier also nichts schönreden. Ich glaube, dass es ein lebenslanges Lernen ist, Arbeit und Freizeit in Balance zu bringen, seine Bedürfnisse auch in chaotischen, workloadlastigen Phasen wahrzunehmen und sich gerade dann kleine, bewusste Pausen zu gönnen.

Mir hat es wahnsinnig geholfen, dass ich noch im Referendariat mit Persönlichkeitsentwicklung angefangen habe. Ich habe mir Fragen gestellt wie z.B.

  • Warum arbeite ich so viel? Möchte ich wem etwas beweisen?
  • Wieso triggert es mich so, wenn jemand meinen Beruf als entspannt bewertet?
  • Wer bin ich ohne meine Arbeit?

Ich habe einige Muster und Glaubenssätze erkannt und bin auch heute noch am fleißigen Entdecken und Hinterfragen 😊.

Als ich nach drei Jahren fühlte, dass ich gerne wieder zurück in meine Heimat wollte, stellte ich einen Versetzungsantrag. Dieser wurde nicht bewilligt. Ich bin nicht verheiratet und wollte diesen Schritt auch nicht gehen, nur um meine Chancen diesbezüglich zu steigern. Gleichzeitig wollte ich auch nicht jedes Jahr aufs Neue einen Antrag stellen und hoffen, dass meine Versetzung bewilligt wird. So fühlt sich für mich kein selbstbestimmtes Leben an. Auch habe ich mit dem Versetzungsantrag bewusst entschieden, dass meine Zeit hier zu Ende sein sollte – die Vorstellung dann doch einfach zu bleiben, weil der Staat meine Versetzung nicht erlaubte, fühlte sich falsch an.

Ich entschied, dass ich nicht Jammern und an einem Ort bleiben wollte, an dem ich nicht mehr sein wollte und reichte meine Kündigung ein. Ich wurde vorzeitig auf Lebenszeit verbeamtet – dementsprechend schockiert reagierte mein schulisches Umfeld. Meine Rektorin sah mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. Aber: Ich machte diesen Job nicht für die Verbeamtung, sondern weil ich es liebe, Kinder zu begleiten, zu fördern und zu fordern. Und außerdem haben 90% der Bevölkerung keinen Beamtenstatus. Und somit war das beschlossene Sache.

Da das Ministerium ein wenig so tut, als wäre das Kündigen des lebenslangen Beamtenverhältnisses ein Staatsgeheimnis, musste ich relativ aufwendig ausfindig machen, wie man überhaupt kündigt. Transparenz auf der Homepage? – Fehlanzeige!
Doch ich habe es über zig Telefonate und Emails herausgefunden und schickte meine Kündigung ab und zog zurück in meine Heimat. Dabei war ich mir sehr wohl bewusst, dass ich aufgrund des Lehrermangels die sehr privilegierte Situation hatte, dass händeringend nach Lehrkräften gesucht wurde.

Ich fing also direkt zum neuen Schuljahr auf Angestelltenbasis mit einem 1-Jahres-Vertrag an einer Grundschule an. Ich hatte mich zuvor bei meinem Wunschschulamt vorgestellt und auch dort betont, dass ich gerne an einer Schule in einem sozioökonomisch eher schwächeren Stadtteil eingesetzt werden möchte.

Joah, das wurde nichts. Ich wurde an einer Schule im Landkreis eingesetzt, die aus sechs Klassen bestand. Das Schulhaus war ein Fachwerkhaus. Idylle pur – und das Gegenteil von den Schulen, an denen ich von Beginn des Studiums an gearbeitet habe.
Jetzt im Nachhinein bin ich sehr dankbar für das Jahr an dieser Schule, da es mein Bild auf Kindheit doch etwas geradegerückt hat. Ohne es zu merken, hatte ich gewisse Dinge als „normal“ angesehen, die es aber nicht sind.

Und, das sei an dieser Stelle auch noch gesagt: ich komme selbst vom Land, war an einer ländlichen Grundschule. Ich für mich merke aber, dass ich meine Kraft, meine Kreativität und meine Unterstützung den Kindern zukommen lassen möchte, die von zuhause eher wenig Unterstützung bekommen können.

Ich unterrichtete also ein Jahr an dieser Schule, hatte Spaß, aber war nicht wirklich erfüllt. Und dann las ich durch Zufall von einer Zweitqualifikationsmaßname, die Grundschullehrkräfte zu Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen ausbildet. Als ich mir die Beschreibung durchlas, rührte sich irgendetwas ganz tief in mir. Es war wie ein Ruf! Die Ausbildung umfasste zwei Jahre und umfasste den Schwerpunkt sozio-emotionale Entwicklung, also das Verhalten. „Genau das ist es!“, dachte ich mir und bewarb mich.

Und es klappte: Ich wurde zum neuen Schuljahr direkt als Klassenlehrkraft an einem Förderzentrum eingesetzt, absolvierte wöchentlich Seminare, Vorlesungen und Workshops zum sozio-emotionalen Schwerpunktthemen, Diagnosen, Krankheitsbildern und Handlungsmöglichkeiten. Und was soll ich sagen?

Ich bin so dankbar für den Weg, den ich eingeschlagen bin. Ich bin jetzt genau da, wo ich sein möchte. Ich liebe meine Arbeit am Förderzentrum. Der Clue ist: Es ist ein Grundschulförderzentrum, hier werden also nur die Klassen 1-4 unterrichtet, was mir als erlernte Grundschullehrerin natürlich sehr entgegenkommt. Noch dazu bin ich in Klasse 3 & 4 eingesetzt, was genau mein Ding ist. An unserer Schule gibt es pro Jahrgangsstufe eine Klasse, deren Förderbedarf vorrangig im Verhalten liegt. Förderzentren umfassen nämlich auch noch Lernen und Sprache. Ich unterrichte eine solche 4. Klasse.

Und ja, manche Tage sind sehr herausfordernd und an manchen Tagen weiß ich gar nicht, wo mir der Kopf steht und brauche erstmal einen Spaziergang. Aber insgesamt ist diese Arbeit am Förderzentrum genau das, was mich erfüllt. Wo ich hingehöre.
Und dass ich wieder verbeamtet worden bin, ist nur die Kirsche auf der Torte 🍰.

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